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manntanzt Heroes - Presse

Manntanzt Heroes - Livestream aus dem Kulturmarkt - 6. März 2021


Keine Helden, aber super Männer

Ein Stück über Helden ist eine Gratwanderung.

Einige werden zwar gerade mit einigem Recht entheroisiert und von den Denkmälern gestossen, aber viele selbst ernannte Helden oder vielmehr Tyrannen sind noch an der Macht. Die Sehnsucht nach Menschen mit herausragenden Eigenschaften prägt viele Geschichten und Mythen, die Weltgeschichte und die Tagespolitik.

 

Besondere Qualitäten bringen auch die sechs Amateur-Tänzer von manntanzt mit, der einzigen nicht-professionellen Männertanzgruppe der Schweiz, in ihrer vierten Produktion «Heroes». Unter der erfahrenen Leitung von Tina Mantel (Konzept und Choreografie), Delia Dahinden (Regie) und Antje Brückner (Licht) zeigen sie uns, wie aus einem «hundsgewöhnlichen Mann ein Held» wird – aufgrund der Pandemie via Livestream am 6. März 21 aus dem Kulturmarkt.

 

Musikalisch wird mit der grossen Kelle angerichtet. Gleich zu Beginn donnern Wagners «Walküren», gefolgt von James Bond und Superman, aber auch Chopins heroische Polonaise und – L’état c’est moi – französische Barockmusik kommen zum Zug. Halten die Männer jeden Alters so viel Pathos stand?

Ja, denn sie greifen Klischees gut auf und hinterfragen diese veralteten Vorstellungen von Supermännern, Rittern und Kriegshelden mit Worten und Tanz. Wie Pferdchen galoppieren sie über die Bühne, stürzen sich todesmutig in Fluten, um die Puppe Christina vor dem Ertrinken zu retten oder zücken cool wie 007 eine unsichtbare Knarre, nicht um zu schiessen, sondern um ein flottes Gruppentänzchen mit allerlei Heldengesten aufs Parkett zu legen.

Jeder hat seine Kindheitserinnerungen und Erfahrungen mit «Heroes» und jeder hat sein von Thierry Dafflon fein gearbeitetes Kostüm, seine Rolle. Es gibt römische und orientalische Kämpfer und Könige, aber auch Röcke in allen Formen für das «Andere», vielleicht Weibliche. Da schwingt viel mit, wenn erwachsene Männer sich in ihre (geplatzten) Bubenträume kleiden, und kreiert spannende und ebenso fein gearbeitete Tanzsolos oder

Monologe für jeden Einzelnen.

Besonders eindrücklich ist die Sequenz, in der man(n) sich auf einen Sockel stellt oder auf ihn gehoben wird und Herrscherposen einnimmt. In Kombination mit Attributen wie «unverwundbar» und «selbstlos» und hohen Erwartungen (Fantasie, innere Grösse, Resilienz, etc.), die Hanspeter Blatter in den Raum wirft und die niemand erfüllen kann, kann man(n) sich ja nur verkriechen oder – besser – der jungen Generation (stellvertretend dafür sitzt die Puppe auf Blatters Schoss) von heutigen Held*innen erzählen, die eben nicht wegschauen und NEIN sagen. Ein starkes Bild.

Im Vergleich zum letzten, sehr ernsten und aufwühlenden Stück «von mann zu mann zu mann» (2019) über Freundschaft und Beziehungen wird in «Heroes» viel mehr getanzt – trotz oder gerade wegen Corona und der Maskenpflicht. Man spürt den Bewegungsdrang der Männer in dieser Zeit des Stillstands und der inneren Unruhe. Das Bedürfnis nach Nähe hat zu vielen synchronen Schwarmszenen geführt, und die Abstandsregeln, die coronakonform eingehalten wurden, haben für raumgreifende und spannende Choreografien gesorgt.

Der Tanznachtisch am Bildschirm war mehr ein erhellendes Künstler- als ein Publikumsgespräch, denn die zoom-Müdigkeit ist allerorten arg zu spüren. Hoffen wir auf ein baldiges «Live» für alle auf, vor und hinter der Bühne.

 

Evelyn Klöti, 7.3.2021